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Berichte

Ausgerechnet: Sozialismus

XI. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz, 14. Januar 2006, Berlin

© Pablo Graubner, Thomas Lühr & Steffen N.
in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 65, März 2006

Mit 1850 TeilnehmerInnen – und damit einem neuen Besucherrekord – fand zum 11. Mal die Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz der Tageszeitung junge Welt unter dem Titel „Mit dem Sozialismus rechnen“ in der Humboldt-Universität statt. So ging es in den Referaten auch vor allem um die Perspektive eines „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“.
In seinem einleitenden Vortrag forderte Heinz Dieterich, Professor an der Autonomen Universität Mexico-Stadt, eine neue Zivilisation als Voraussetzung eines Endes der Marktökonomie. Für diese sozialistische Gesellschaft sei wesentlich, dass sich ihre Mitglieder mittels Partizipation an Entscheidungsprozessen mit ihr identifizierten. In den ehemals sozialistischen Ökonomien habe stattdessen nur eine „Fiktion des Volkseigentums“ bestanden, in dem die Produzenten ihr Produkt nicht besessen hätten und damit auch nicht bereit gewesen wären, es zu verteidigen. Der realexistierende Sozialismus sei im Grunde ein utopischer Sozialismus gewesen, da die objektiven Bedingungen zur Realisierung einer wirklich partizipativen Gesellschaft noch nicht gegeben waren. Stattdessen, so Dieterich, habe die bürgerliche Ökonomie erst in den letzten Jahren die materiellen Voraussetzungen geschaffen, um eine wirkliche Beteiligung aller Bürger zu gewährleisten.
Paul Cockshott, Mitarbeiter der Abteilung Computerwissenschaften der Universität Glasgow, ging in seinem Vortrag auf die neuen Möglichkeiten einer Planwirtschaft mit heutigen Computertechnologien ein. Als wesentliches Problem einer sozialistischen Ökonomie beschrieb Cockshott die mangelnde Preissteuerung bei Produktionsentscheidungen. Diese könne heute – Analog zur Marx'schen Arbeitswerttheorie – durch eine Berechnung der in einem Produkt enthaltenen gesellschaftlichen Arbeitzeit ausgeglichen werden. Was bisher wegen seiner Komplexität als undurchführbar galt, sei nun durch neue mathematische Verfahren und der extremen Leistungssteigerung von Computern realisierbar. Wegen der extrem kurzen Rechenzeit könnte auch weit schneller und flexibler auf veränderte Produktionsanforderungen reagiert werden, als dies in einer Ökonomie mittels eines Marktes möglich wäre, so Cockshott. Der bereits weit verbreitete Einsatz von Computern in Produktion und Verwaltung sowie deren Vernetzung könnten dafür die Grundlage liefern.
Im Gegensatz zu seinen Vorrednern forderte Hans Heinz Holz in seinem Beitrag, dass bei der Konzeption eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts auch weiterhin die Eigentumsfrage in den Vordergrund gestellt werden müsse. Die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln sei als revolutionärer Prozess zu verstehen, der die Vorbedingung für eine wirkliche Demokratisierung und eine gerechte Verteilung sei. So könnten auch die Möglichkeiten der Computer- und Kommunikationstechnik erst auf eben dieser Grundlage wirklich erschöpfend für gesellschaftliche Planungs- und Verwaltungsaufgaben genutzt werden. Weiter betonte Holz, dass ein Entwurf einer sozialistischen Gesellschaft heute nicht möglich sei. Die konkrete Ausgestaltung ergebe sich aus der Bewegung und vor allem unter den konkreten nationalen und historischen Bedingungen.
Nicht so sehr im Vordergrund stand diese Frage der Eigentumsverhältnisse wiederum beim Vortrag von Eugenio Suárez Pérez. Der kubanische Vertreter hob vielmehr die Notwendigkeit eines gemeinschaftlichen Handelns aller progressiven Kräfte beim Kampf gegen einen sich weltweit zunehmend aggressiver gebärenden Neoliberalismus unter der Ägide der Bush-Administration hervor; eines Neoliberalismus, der nach Pérez nicht nur in den Staaten der „Dritten Welt“ wütet und besonders in lateinischen Amerika gewütet hat, sondern auch in den Industriestaaten zunehmend Armut und Ungleichheiten hervorruft. Hoffnung für seinen Kontinent und auch für sein seit 1959 von den USA in einem nicht erklärten Krieg bedrohtes Heimatland schöpft er vor allem aus der Entwicklung und dem Anwachsen der sozialen Bewegungen weltweit und den Regierungsübernahmen linker und sozialistischer Politiker in Ländern wie Bolivien, Uruguay oder Venezuela. Gegen Ende seines Referates verlas Pérez die Grußbotschaften der fünf in den USA unrechtmäßig inhaftierten Kubaner und rief zum globalen Kampf der Völker für eine Welt der Solidarität, der Gerechtigkeit und des Friedens auf.
Die wohl am besten besuchte und mit großer Spannung erwartete Rede hielt der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Oskar Lafontaine. Die zentralen Inhalte seines Vortrages bestanden zum Einen in einer Analyse der herrschenden neoliberalen Politik und Kultur und zum Anderen im Aufzeigen von Chancen und Risiken für die neue Linkspartei bzw. für ein neues linkes Projekt. In diesem Kontext betonte er die Notwendigkeit der Schaffung einer positiven Utopie, die Untrennbarkeit von Demokratie und Sozialismus, aber auch die drohende Unglaubwürdigkeit bei einer Regierungsbeteiligung, in deren Rahmen öffentliche Dienstleistungen privatisiert werden. Zu Recht bemerkte die Moderation dazu, dass Lafontaine eine beeindruckende Kritik des rot-roten Senats lieferte.
In der anschließenden Podiumsdiskussion waren vor allem Oskar Lafontaines Äußerungen hinsichtlich des Spielraumes linker Politikgestaltung sowie die Verbindung von Macht- und Eigentumsfrage Thema. Angela Klein vom Sozialforum Deutschland sprach sich in diesem Zusammenhang dafür aus, nicht bei der Wiedereinführung einer Vermögenssteuer stehen zu bleiben, sondern weiterreichende Forderungen zu stellen, die jedoch nicht auf den nationalen Rahmen beschränkt bleiben dürften. Ähnlich äußerte sich Heinz Dieterich und betonte die Notwendigkeit über den defensiven und europastaatlich begrenzten Charakter der Forderungen von Lafontaine hinauszugehen und eine „globalstaatliche Regierung“ einzufordern, die neben den Interessen der Industriestaaten auch die der Entwicklungsstaaten verteidigt. Hans Heinz Holz schließlich warf die Frage auf, ob denn durch administrative Maßnahmen die Struktur unseres heutigen Regierungssystems verändert werden kann, oder ob dazu nicht vielmehr die Einbeziehung der „revolutionierenden Macht außerparlamentarischer Bewegungen“ nötig ist, um die auf den Eigentumsverhältnissen beruhende Machtstruktur zu ändern und kündigte an Lafontaine bei seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler an seine Worte auf der Konferenz zu erinnern.
Parallel zu den Referaten fand eine spezielle Jugendrunde statt. Nele Hirsch (MdB, Die Linke.), Marco Heinig (solid), Sebastian Große Ausber (SDAJ), Daniel Wucherpfennig (DGB-Jugend) und Mehmet Ata (DIDF-Jugend) diskutierten die jugendpolitischen Auswirkungen der Großen Koalition und Perspektiven des Widerstandes.
Zunächst wurde auf den Spaltungscharakter der „Neoliberalisierung der Bildung“ hingewiesen. Besonders an den Hochschulen hätte sich die Konkurrenzlogik bereits durchgesetzt und erschwere den Widerstand und die Solidarität unter den Studierenden, so Nele Hirsch.
Hirsch kritisierte dann die Überbetonung der Parlamentsarbeit in ihrer Partei und betonte stattdessen die Notwendigkeit strategischer Allianzen mit den außerparlamentarischen Bewegungen. Ein Beispiel für so eine Allianz könnte das Ausbildungsbündnis sein, das in Berlin durch die IG BAU und die SDAJ initiiert wurde und bei Einbeziehung weiterer Jugendorganisationen bundesweit umgesetzt werden soll. So könnten entsprechende Anfragen und Anhörungen der Linksfraktion „auf der Strasse“ begleitet und der Druck erhöht werden, betonte Wucherpfennig. Während Heinig den „Bruch mit dem Arbeitsfetisch“ und „alten Formen“ des Widerstandes forderte, betonte Große Ausber die Notwendigkeit die Frage der Umlagefinanzierung und Qualität der Ausbildung mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung zu verbinden. Ata wiederum unterstrich die Herausforderung für die Linke, sich künftig bei spontanen Bewegungen, wie den Hartz-IV-Demonstrationen an die Spitze zu stellen, um zu versuchen „diese Leute mitzunehmen“. Dafür sei es nötig an den Widerstandsformen anzuknüpfen, die sich konkret aus der Bewegung ergeben.
Alles in Allem hat sich die Konferenz dadurch ausgezeichnet ein breites Spektrum der Linken zusammenzubringen, Unterschiede zu benennen, aber auch zu zeigen, wo unmittelbar Einigkeit besteht. Fraglich bleibt jedoch weiterhin, ob die strategische Relevanz der Eigentumsfrage in den Überlegungen weiter Teile der Linken ausreichend berücksichtig wird.

Frieden durch Krieg?

11. Friedenspolitischer Ratschlag, 4./5. Dezember 2004, Kassel

© Thomas Lühr
in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 61, März 2005

„Für ein soziales Europa, von dem nur Frieden ausgeht. Für einen Nahen Osten ohne Krieg, Besatzung und Terror. Gerechte Weltwirtschaft statt neoliberaler Globalisierung.“ Unter diesen Zeichen stand der 11. Friedenspolitische Ratschlag, der mit 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der ganzen Republik für diese vergleichsweise defensiven Zeiten der Friedensbewegung erstaunlich gut besucht war. Der Ratschlag erhält seinen einzigartigen Charakter durch den dort stattfindenden Austausch zwischen Friedensforschung und Wissenschaft mit der Friedensbewegung von der Straße, wodurch er auch zunehmend an Attraktivität für andere soziale Bewegungen gewinnt, was sich vor allem an der in den letzten Jahren immer stärker werdenden Beteiligung von attac ausdrückt.

Sein Eröffnungsreferat begann Peter Strutynski von der AG Friedensforschung an der Uni Kassel mit einer Bilanz des vergangenen Jahres. Die US-Regierung hätte zwar keinen weiteren Krieg begonnen, was im wesentlichen dem irakischen Widerstand, aber auch dem politischen Druck der weltweiten Proteste geschuldet sei, doch sei der Irak-Krieg auch nach zwei Jahren immer noch nicht beendet und eher noch grausamer geworden. Auch die EU sei keine zivile Alternative zur militärgestützten „Menschenrechtspolitik“ der US-Regierung. „Vielmehr ziehen die Regierenden hüben und drüben an einem imperialistischen Strick, an dem zuallererst die Dritte Welt und in zweiter Linie die arbeitende und – vor allem – die nicht (mehr) arbeitende Bevölkerung der Ersten Welt baumeln“, so Strutynski. Für die deutsche und europäische Friedensbewegung müsse vor allem der Kampf gegen die Militarisierung Europas im Vordergrund stehen. Ein wichtiger Ansatzpunkt dafür sei die EU-Verfassung, in der Krieg als Mittel der Politik zur Interessenwahrung der EU-Staaten legitimiert wird und der Zwang zur Aufrüstung Verfassungsrang erhält. Somit drohen verstärkte Versuche der EU, lokale und regionale Krisen eigenständig militärisch zu lösen. Für die Friedensbewegung bestehe die letzte Chance „für ein soziales Europa, von dem nur Frieden ausgeht“ in dem notwendigen Ratifizierungsprozess in den EU-Staaten. So gebe es auch in Deutschland Initiativen für ein Referendum, um die Verfassung durch die Bevölkerung abstimmen zu lassen. Der Bundesausschuss Friedensratschlag setzt sich daher für eine multipolitische Kampagne „Ja zu Europa; aber Nein zu dieser Verfassung!“ ein. Jede Bewegung solle die Kampagne mit ihrem eigenen Schwerpunkt führen und so gegen die EU-Verfassung mobilisieren.

Eindruck hinterließ der Marburger Politikwissenschaftler Frank Deppe mit seinem Vortrag über den „neuen Imperialismus“. Dieser unterscheide sich von seinem klassischen Vorgänger, dem Imperialismus des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts dadurch, dass es den imperialen Mächten heute nicht mehr darum gehe, Kolonien zu erwerben oder fremde Länder zu unterwerfen, sondern mittels der Ausbreitung des Neoliberalismus möglichst alle potenziell profitablen Bereiche der Daseinsvorsorge privatkapitalistischer Kontrolle zu unterwerfen. Die klassische Imperialismustheorie Lenins sei an die Bedingungen des Klassenkampfes seiner Zeit gebunden und hätte das revolutionäre Potenzial der Arbeiterklasse überschätzt sowie die Entwicklungs- und Integrationspotenziale des Kapitalismus/Imperialismus unterschätzt, die sich in der Entwicklung des Fordismus abzeichneten. Der heutige Imperialismus sei geprägt von dem Ende der Systemkonkurrenz und bestehe als ein globales Finanzmarktsystem. Durch den hohen Grad der internationalen Verflechtung des Kapitals stünden die gemeinsamen Interessen der imperialistischen Mächte im Vordergrund. Zwar gebe es auch einen eigenständigen EU-Imperialismus, der seine spezifischen Interessen habe, die darauf zielt, die EU als Global Player vor allem in der Region zu stärken, doch seien die USA weltweit und vor allem militärisch nicht mehr einzuholen.

Jürgen Wagner, Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen, rückte in seinem Forum „EU-USA: ‚Auf gleicher Augenhöhe’ – Partnerschaft oder Konkurrenz?“, anders als Deppe, die zwischenimperialistischen Widersprüche in den Vordergrund. In einer Auswertung der Europäischen Sicherheitsstrategie, der EU-Verfassung und des European Defence Papers verstehe er die zunehmende Militarisierung Europas als Abnabelungsprozess von der sich im Abstieg befindenden Weltmacht USA. Die Interessengegensätze bestünden vor allem in drei Bereichen. Erstens: Im Bereich der Handelspolitik werde mit harten Bandagen um Absatzmärkte gekämpft. Besonders in der Rüstungsindustrie sei den USA mit dem deutsch-französischen Rüstungsgiganten EADS ein mächtiger Rivale vor die Nase gesetzt wurden. Grundsätzliche Differenzen würden sich zweitens in der Ausbeutung und Kontrolle der verbliebenen Ölreserven abzeichnen und schließlich bestehe drittens eine Konkurrenz zwischen Euro und Dollar als Weltleitwährung. Laut Wagner spricht die Mehrheit der Indizien dafür, dass mit der Militarisierung der EU auch die zwischenimperialistischen Konflikte zunehmen werden. Das Argument, die USA hätten einen uneinholbaren Vorspurung sei, u.a. deswegen zu hinterfragen, weil gerade Deutschland im vergangenen Jahrhundert schon zweimal gezeigt hätte, dass ein ähnlicher Vorsprung aufgeholt werden könne.

Die Diskussion zur Situation im Irak wurde vor allem im Forum des Frankfurter Politikwissenschaftlers Sabah Alnasseri geführt. Der Exil-Iraker wandte sich in seinem Referat vor allem gegen die Annahme, mit der Besatzung sei die Demokratie im Irak eingekehrt. Das Gegenteil sei der Fall. So habe z.B. bei den Wahlen im Januar die Opposition gar keine Möglichkeit, gewählt zu werden. Auch werde nicht ansatzweise der Versuch unternommen, die Wirtschaft des Irak wieder aufzubauen, vielmehr gehe es darum, Privatisierungsmaßnahmen voranzutreiben. Es werde auf radikal-neoliberale Weise der Ausverkauf des Irak betrieben. Scharf kritisierte er auch die Beteiligung der Irakischen Kommunistischen Partei in der „Marionettenregierung“. Das „Bündnis mit der nationalen Bourgeoisie“ sei in Wahrheit ein Bündnis mit exil-irakischem und anderem ausländischem Kapital. Die wirkliche nationale Bourgeoisie sei von dem Ausverkauf ebenfalls ausgeschlossen und sympathisiere daher mit dem irakischen Widerstand. Dieser sei im Übrigen sehr breit und beschränke sich nicht nur auf Baathisten oder andere Kriminelle und Banditen. Die von der Friedensbewegung vorgenommene Trennung zwischen zivilem und militärischem Widerstand gebe es im Irak in dieser Form nicht. Wichtig sei festzuhalten, dass die Besatzung die Ursache von Terror und Gewalt, der Widerstand der Iraker legitim sei und wirkliche Demokratie erst nach der Beendigung der Besatzung entstehen könne.

Es gab an beiden Tagen noch weitere hochwertige Vorträge, sowohl in den 25 Foren als auch im Plenum, die hier leider nur noch kurz erwähnt werden können. So zeigte Elmar Altvater wie die Liberalisierung des Weltmarktes und die „Vermarktwirtschaftlichung“ der öffentlichen Dienstleistungen menschliche Sicherheit – verstanden als wirtschaftliches, soziales, kulturelles und emotionales Wohlergehen des Einzelnen in der Gesellschaft – zunehmend gefährde. Horst Schmitthenner, bei der IG Metall zuständig für die Pflege des Kontakts mit sozialen Bewegungen, ergänzte diese theoretische Sichtweise durch zahlreiche Beispiele aus dem betrieblichen Alltag, der Unternehmeroffensive gegen Arbeitnehmerrechte und der staatlichen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, wofür Hartz IV nur ein besonders markantes Beispiel sei. Beifall gab es auch für die Berliner Journalistin und Schriftstellerin Daniela Dahn, Trägerin des Ludwig-Börne-Preises 2004, als sie die Teilnahme der Bundesregierung am völkerrechtswidrigen Jugoslawien-Krieg 1999 anprangerte und an die damals bewusst in Kauf genommenen zivilen „Kollateralschäden“ erinnerte.

Die abschließende Podiumsdiskussion mit Angelika Claußen (IPPNW), Stephan Lindner (attac), Tobias Pflüger (IMI, MdEP), Anne Rieger (VVN-BdA) und Thomas Roithner (ÖSFK) befasste sich mit der Frage, was die Friedensbewegung leisten könne, um der EU den Weg in die Militarisierung zu versperren. Betont wurde, dass für eine starke Friedensbewegung die örtliche Verankerung und breite Bündnisse, vor allem mit anderen sozialen Bewegungen von zentraler Bedeutung seien. Die Verbindung von Militarisierung bzw. Aufrüstung und Sozialabbau müsse dabei im Vordergrund stehen. Dass 60 Jahre nach der Befreiung Europas vom Faschismus die EU, angetrieben von den „neoliberalen Motoren“ Deutschland und Frankreich daran arbeite, Europa auch militärisch neben den USA zur zweiten Weltmacht zu machen, dürfe nicht hingenommen werden. Es sei daher eine historische Verpflichtung der Friedensbewegung, den Widerstand gegen den Neoliberalismus und die damit verbundene Militarisierung Europas zu intensivieren und vor allem über den Charakter der EU-Verfassung aufzuklären. Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) hat hierfür ein Koordinationsbüro eingerichtet, das die Verknüpfung der Aktivitäten gegen die EU-Verfassung und den Informationsaustausch fördern soll.

Kämpfe in unserer Zeit – Widerstandsformen, Bewußtseinsentwicklung, Perspektiven

11. September 2004, Frankfurt am Main

© Guido Speckmann & Thomas Lühr
in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 60, Dezember 2004

Unter diesem Titel lud die Marx-Engels-Stiftung zusammen mit dem gewerkschaftspolitischen Forum der DKP zur Konferenz, um Anstöße für die marxistische Linke bei der Analyse der gegenwärtigen gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen zu geben.
Der Betriebsrat der Gesamthafenarbeiter im Hamburg Hafen und stellvertretende Bundesvorsitzende des Fachbereichs Verkehr der Gewerkschaft ver.di, Bernt Kamin, berichtete über den erfolgreichen Kampf der europäischen Hafenarbeiter gegen die geplante EU-Richtlinie „Port Package“. Die Deregulierungsrichtlinie sah u.a. vor, dass Hafenarbeit auch von dafür nicht ausgebildeten Seeleuten erledigt werden könnte. Somit hätte die „International-Labour-Organisation-Norm 137“ unterlaufen werden können, wonach Hafenarbeit nur durch registrierte Hafenarbeiter aus „Pools“ (in Deutschland: Gesamthafenbetriebe) ausgeführt werden darf. Firmen wären dann nicht mehr an Tarife gebunden und Hafenarbeiter wieder in ein Tagelöhner-Dasein zurückgeworfen.
Dieser Angriff auf die Arbeitsbedingungen in den europäischen Häfen konnte nur durch die Zusammenarbeit der Betriebsräte und internationalen Gewerkschaftsdachverbände verhindert werden. Maßgeblich für den Erfolg war die Entschlossenheit, jeden Betreiber von Reedereien zu boykottieren, der versuchen würde, sozial abgesicherte Hafenarbeit durch Billigarbeit zu ersetzen – und zwar unabhängig von einer Entscheidung des EU-Parlaments.
Nach einer einjährigen Kampagne, an der sich die Hafenarbeiter aus 14 europäischen Ländern beteiligten, konnte der notwendige Druck entwickelt werden, so daß die Richtlinie letztendlich entgegen der Empfehlung des Vermittlungsausschuß abgelehnt wurde. Dies sei der erste Fall gewesen, wo gesellschaftlicher Druck von außen, eine Richtlinie der EU-Kommission gekippt habe. Kamin betonte, daß es schon ein Wert an sich sei, erstmals grenzübergreifend politische Arbeitskämpfe in 14 europäischen Ländern gegen die EU organisiert zu haben. Der entscheidende Punkt sei aber, gezeigt zu haben, daß man durch internationale Zusammenarbeit von Seiten der Gewerkschaften Antworten auf die Globalisierung finden kann. Die Erfahrungen mit der eigenen Macht und Durchsetzungsfähigkeit beweisen, daß man das Spiel der Konzerne nicht mitspielen muß. Genauso wie die vergleichsweise guten Arbeitsbedingungen der Hafenarbeiter Ergebnisse von Klassenkämpfen seien, genauso könnten sie auch durch entschlossene Klassenkämpfe verteidigt werden.

Leo Mayer, Vertrauenskörper und ehemaliger stellvertretender Betriebsratvorsitzender bei Siemens Hofmannstrasse in München, berichtete von den Erfahrungen der Belegschaft im Bereich Networks und Mobile. Im Rahmen von „Kapazitätsanpassungen“ im Zuge der Krise der Telekommunikation 2001/02 sollten 2 300 der 7 300 Arbeitsplätze abgebaut werden. Auf den Bestand des Kündigungsschützes wurde dabei in vielen Fällen keine Rücksicht genommen. Der Betriebsrat entwickelten ein Gegenkonzept, daß auf Arbeitszeitverkürzung statt Stellenabbau setzte. Das Aufzeigen von sozialverträglicheren Alternativen zum Shareholder-Value-Denken brachte nicht nur die Belegschaft (gewerkschaftlicher Organisationsgrad lag bei 2-3%) geschlossen auf ihre Seite und schürte Widerstand, sondern auch die Medien und die ganze Stadt bis hin zur CSU. Dabei betonte Mayer die Bedeutung des „Kampfes um die Köpfe“ gegen die neoliberale Hegemonie. Wichtigstes Mittel zur Erlangung der Meinungsführerschaft im Betrieb war vor allem ein Diskussionsforum, das die Firmenleitung ursprünglich eingerichtet hatte, um die Argumentation des Betriebsrates auseinander zu nehmen. Das Gegenteil wurde erreicht. Mehr noch: Das Forum wurde bald eingestellt, weil der Grad der Beteiligung der Belegschaft schon die Form einer Arbeitsniederlegung angenommen hatte. Entscheidend für den Erfolg war die Abkehr von der Stellvertreterpolitik und die Anwendung eines partizipatorischen gewerkschaftlichen Politikmodells. So wurde jeder Schritt mit der gesamten Belegschaft abgesprochen, was dazu führte, alle KollegInnen in die Kämpfe einzubinden. Auch die Solidarität der Belegschaft entwickelte neue Formen. Mayer berichtete von einem Mitarbeiternetzwerk, das sich gründete, um die Betroffenen in individuellen Diskussionen auch sozial aufzufangen. Diese Art der Betreuung sei auch eine Herausforderung für Gewerkschaften, besonders in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit, so der ehemalige Betriebsrat.
Abschließend gestand er ein, daß das vollständige Ziel, die 4-Tage-Woche, zwar nicht durchgesetzt werden konnte, aber durch einen Kompromiß, der den Kräfteverhältnissen entspräche, konnten immerhin die Hälfte der Entlassungen und weiterer Personalabbau verhindert werden. In diesen Zeiten seien eben keine großen Erfolge zu erwarten. Umso wertvoller sei die gemachte Kampferfahrung, die dadurch entstandene Solidarität unter den Kollegen und die Einsicht, daß es Alternativen gegen den „Sachzwang“ gibt, die man erkämpfen kann. Und nicht zuletzt habe die IG Metall allein in 3 Wochen 900 Mitglieder gewonnen, was vor allem durch eine Sensibilisierung für den Kündigungsschutz gelang. Auch dies sei ein Teilerfolg, der vor allem in Zukunft von Bedeutung sein wird.

Jürgen Hinzer, Sekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gasstätten in Frankfurt, wandte sich zunächst – ähnlich wie Bernt Kamin – gegen die Scheinradikalität einiger Gruppen auf den Aktionskonferenzen und Sozialforen, die außerhalb jeglicher betrieblicher Verankerung kritisierten, daß beispielsweise am Europäischen Aktionstag am 3. April diesen Jahres keine betrieblichen Protestaktionen seitens der Gewerkschaften organisiert worden seien. Notwendig sei eine nüchterne und realistische Einschätzung der Situation in den Betrieben.
Am Beispiel der fünftgrößten Molkerei Immergut in hessischen Schlüchtern nahm er eine solche vor. Der Betrieb sei gewerkschaftlich relativ gut organisiert und schon seit 1996 bei den Kämpfen für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sehr aktiv gewesen. Ohne diese langjährigen Erfahrungen hätte der Betrieb im letzten Jahr nicht gerettet werden können und sei es auch nicht möglich gewesen, die rund 100 Personen zählende Belegschaft zur sozialen Auseinandersetzungen außerhalb des Betriebes im Rahmen der Anti-Hartz-Proteste zu mobilisieren. Zwei Tage nach der Konferenz, wurde die Insolvenz des Betriebes verkündet. In diesem Falle hatte Hinzer Ermüdungserscheinungen prognostiziert, da die Kompromißbereitschaft dann schnell zunehme.
Die Situation der Belegschaften in der Brotindustrie Hessens schätzte Hinzer noch nüchterne ein. Hessen ist in dieser Branche ein tarifpolitisches Mustergebiet, doch nun drohe durch Kamps eine Verschlechterung der tariflichen Standards. Für Aktionen gegen die Hartz-Reformen und die Agenda 2010 seien die Belegschafen nicht automatisch mobilisierbar. Diese außerbetrieblichen Konflikte seien zu weit weg. Doch gerade ohne gesellschaftliche Bündnisse und Kampagnen sei die lähmende Angst vor dem Arbeitsplatzverlust der Belegschaften nicht zu überwinden. Ein Aufruf zum Streik allein bewirke gar nichts.
In der Diskussion wurde deutlich, daß selbst der hessische DGB-Vorstand keine Kenntnisse über die Abwehrkämpfe in Schlüchtern hatte und daß in der Presse kaum über diese Kämpfe berichtet wird. Auch Bernt Kamin merkte an, daß über die Aktionen der Hafenarbeiter lediglich in der Lokalpresse berichtet wurde.

Der Vorsitzende des deutsch-französischen Alstom Power Konzernbetriebsrates in Mannheim, Udo Belz, berichtete von Kämpfen gegen die geplante Stilllegung von Betrieben. Als 1999 die Konzernleitung vier Werke schließen wollte, wurde ein Konzernbetriebsrat gebildet, an dem sich drei Betriebsräte der vier bedrohten Werke beteiligten. Diese konnten in Verhandlungen die Schließungen ihrer Werke verhindern und zusätzlich eine Beschäftigungsgarantie ohne Zugeständnisse bei der Arbeitszeit oder der Entlohnung. Das Werk jedoch, welches für sich verhandelte, wurde geschlossen. Ein Beweis für die Wichtigkeit des gemeinsamen Vorgehens verschiedener Werke innerhalb eines Konzerns. Der Konzern hatte dann drei Jahre Ruhe, bis erneut weltweite Restrukturierungsmaßnahmen der Unternehmensführung mit Stellenabbau in Mannheim geplant waren. Die Europäischen Betriebsräte wurden von diesen Maßnahmen zunächst nicht informiert, dann bemühten sie sich, Alternativkonzepte vorzulegen. Der Konzern ging auf diese nicht eine. Ein juristischer Streit folgte. Begleitet wurde dieser von einer Demo in Paris, an der 20% der Belegschaft aus Deutschland teilnahmen. Ein großer Erfolg und ein wichtige Unterstützung für die Europäischen Betriebsräte. Dutzende Arbeitsniederlegungen und Demos während der Arbeitszeit mit sehr hohen Beteiligungen folgten. Schließlich gelang es, den Stellenabbau über Vorruhestandregelungen abzuwickeln und – solange die Marklage schlecht bleibt – Kurzarbeit einzuführen. Und dies ohne Lohnkürzungen. Belz kritisierte in diesem Zusammenhab auf das schärfste den Siemens-Abschluß für einige Werke in NRW. Wenn man sich einmal erpressen lasse, wird man immer wieder erpreßt. Auch Leo Mayer nannte in der Diskussion die Gewerkschaftspolitik, die zu dem Siemens-Abschluß geführt habe, „zerstörerisch“. Zunächst habe man vorgerechnet, wieviel Arbeitsplätze durch eine 40-Stunden-Woche vernichtet werden, dann jedoch solle diese bei Siemens plötzlich Arbeitsplätze retten. In dem Tarifvertrag sei doch bereits eine Klausel für Arbeitsverlängerung enthalten gewesen. Die von der ganzen IG Metall erkämpfte Errungenschaft ‚35-Stunden-Woche’ werde nun von ein paar „kaputt gemacht.“
Fazit des verallgemeinernden theoretischen Beitrages des Sozialwissenschaftlers Werner Seppmann war, daß eine Interessenartikulation der abhängig Beschäftigten in der heutigen Situation nur Erfolg haben könne, wenn sie den betrieblichen Rahmen überschreite und sich mit außerbetrieblichen verbinde.
Die Beispiele der Betriebsräte zeigten, daß dies unter den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen punktuell möglich ist. Trotzdem machte sich keiner der Anwesenden Illusionen. Realistisch wurden die Möglichkeiten eingeschätzt. Einigkeit herrschte darüber, daß das Kapital neben der Regierung von den wenig verbliebenen kommunistischen GewerkschafterInnen stärker als Gegner der Auseinandersetzungen in die Diskussionen gebracht werden müsse und daß es die konkreten Schritten im betrieblichen Alltag seien, die die KollegInnen wieder in Aktion bringen.
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