compay-online.de

Online seit 6560 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 18. Feb, 01:42

Besprechungen

Umrisse einer ökonomischen Analyse des Kapitalismus heute

© Thomas Lühr
in: Das Argument – Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften, Nr. 265, H.2/2006

topos-sonder

Knolle-Grothusen, Ansgar, u. Peter Hartmann, Umrisse einer ökonomischen Analyse des Kapitalismus heute, Topos. Internationale Beiträge zur dialektischen Theorie, hgg. v. H.H. Holz u. D. Losurdo, Sonderheft 1, La Città del Sole, Neapel 2005 (147 S., br., 8,50 €)

Inhaltsverzeichnis, Vorbemerkung und Bestellung des Buches

unbearbeitetete Vorversion des Buches als PDF-Datei

Analysen der kapitalistischen Entwicklung wirken sich strukturierend auf Strategie und Praxis linker Akteure aus – in diesem Fall auf die Programmdiskussion der DKP, in deren Rahmen diese Arbeit entstanden ist. Als Intervention der »radikalen Linken« in die Programmdebatte stellt sie den Versuch dar, zu klären, wie die »empirisch wahrnehmbaren Oberflächenerscheinungen mit den zugrunde liegenden ökonomischen Gesetzmäßigkeiten und Kategorien vermittelt sind« (11).

Nach einer kurzen Skizze der Grundlinien der historischen Entwicklung des Kapitalismus wird die Phase seit 1971 analysiert: sie ist bekanntermaßen geprägt durch erneute Ausweitung des Welthandels und zunehmende internationale Kapitalverflechtung – führt jedoch keinesfalls zu einer Vereinheitlichung des Weltmarktes. Vielmehr sind es gerade die unterschiedlichen Verwertungsbedingungen, die den Kapitalexport befördern und Bewegung in die Rangfolge der konkurrierenden Länder bringen (71). Populärwissenschaftliche Thesen wie die Loslösung des Kapitals von seiner nationalen Basis oder die Bedeutungs- und Funktionslosigkeit der Nationalstaaten werden abgewiesen. Für die Funktionsweise des Weltmarktes und des Weltgeldes ist »die Zuordnung sämtlichen produzierten Mehrwerts als angeeignet letztlich von einer bestimmten Person, die einer bestimmten Nation zugeordnet ist [...,] unverzichtbar« und zeige sich an der Bedeutung nationaler Zahlungsbilanzen (d.h. der prinzipiellen Unterscheidung intra- von internationalen Transaktionen) für das Wechselverhältnis der nationalen Währungen (75). Die verstärkte Herausbildung supra- bzw. transnationaler Strukturen hingegen sei nur der Ort und Ausdruck der Entfaltung der Formen, in denen die Widersprüche zwischen den Nationalstaaten ausgetragen würden (ebd.), welche das Entwicklungspotenzial des Weltmarktes – als Feld der ungleichmäßigen Entwicklung – bildeten. Auf eine eventuelle eigene Qualität dieser Strukturen wird nicht eingegangen. Verf. betonen vielmehr das Fortbestehen der Widersprüche zwischen den Staaten: »Der Kapitalismus kann die Einheit nur in gegensätzlicher Form produzieren« (76).

Ausgehend vom leninschen Imperialismusbegriff stellen Verf. Monopole als ökonomisches Grundmerkmal auch des neuen Kapitalismus in den Vordergrund; marxistisch verstanden als »Ergebnis eines höheren Grades von Konzentration und Zentralisation« und nicht als »Alleinrecht« (82). Monopole setzen »die Existenz des Nichtmonopols voraus«, »jene Sphären der Produktion«, in denen »der die Quelle des Monopolprofits bildende Mehrwert geschaffen wird, denn wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren« (83).
Ferner wenden sich Verf. gegen die verbreitete These, es bestehe eine Dominanz des Geldkapitals gegenüber dem industriellen Kapital (88ff). Wegen der Notwendigkeit des Kapitals, sich weltweit positionieren zu müssen, bedürfe es im neuen Kapitalismus im Verhältnis zum fungierenden Kapital größerer Mengen Geldkapitals, z.B. als Kampffonds für Übernahmen (69). Nur so könne das mit ihm verbundene produktive Kapital auf dem Weltmarkt bestehen; beide Formen ließen sich nicht von einander trennen (90). Zwar erhöhe sich die Rolle der Spekulation, doch die Tendenz zur Verselbstständigung wird eher gering geschätzt und auf die Verschärfung von Krisenprozessen beschränkt: Investmentbanken, Rating Agenturen und Investmentfonds »lösen keine Krisen aus, sondern reagieren auf die Krisenprozesse des Kapitalismus und verstärken sie dadurch« (89).

In Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Ökonomie wird gezeigt, wie sich aus dem Keynesianismus dialektisch sein Gegenpol, der Neoliberalismus, entwickelt hat (107f). Verf. gehen von zwei widersprüchlichen Polen der Ökonomietheorie aus, wobei die jeweiligen Theorie-Konjunkturen Ausdruck der wirklichen Bewegung der Widersprüche in der Produktionsweise und des Versuches seien, diese theoretisch zu harmonisieren, während die wirtschaftliche Praxis pragmatisch zwischen den Polen lavieren müsse (96ff). »Als in sich geschlossene Schulen bestimmten Keynesianismus oder Neoliberalismus nie absolut die wirtschaftspolitische Praxis. Weil sie praktisch sein muss, muss sie widersprüchliche Elemente in sich aufnehmen« (112).

Schlusspunkt ist die Kritik einer linken »Robin-Hood-Romantik« (128), die sich nicht von der Logik des Privateigentums löse und den Unterschied zwischen Wert und Gebrauchswert verwische (Z.B.: »Es ist genug für alle da!«). Die Forderung nach Umverteilung »geht nicht auf die unmittelbare Verteilung der Konsumgüter oder Produktionsmittel, sondern sie geht auf die abstrakte Form des Reichtums« zurück (130) und stellt »nicht das Kapitalverhältnis zur Disposition«, sondern die »diesem Verhältnis entspringende quantitative Verschiedenheit« der Einkommen (132). Die Eigentumsfrage werde falsch gestellt, »nämlich von der Egalisierung und nicht von der Aufhebung des Privateigentums her« (131). Hintergrund sei ein verkürzter Kapitalbegriff, der nicht von einem bestimmten historischen Verhältnis der Menschen zueinander ausgehe – auf Grundlage der Ausbeutung von Lohnarbeit –, sondern von einer »Sache« (Geld), die eine bestimmte Personengruppe anhäuft (136). Verf. sehen in dieser Mystifizierung des Kapitalverhältnisses und der daraus folgenden Beschränkung der Auseinandersetzungen auf die Ebene der Distribution eine Grundlage für die Funktions- und Hegemoniefähigkeit des kapitalistischen Systems (138).

Eine Praxis, die diese Hegemonie in Frage stellen könnte, wird nur angedeutet. Insbesondere bei den französischen SUD-Basis-Gewerkschaften hätten sich im letzten Jahrzehnt Kampfformen entwickelt, in denen »die Arbeiter sich nicht mehr nur auf ihre Rolle als Lohnabhängige reduzieren lassen oder zurückziehen, sondern sich als gesellschaftliche Produzenten begreifen« (88). In dem Maße, in dem die Arbeiterklasse ihre Praxis nach der Erkenntnis ausrichte, dass das Kapital ein unnötiges Hindernis für die sinnvolle Organisation des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses bilde, würde auch die Hegemoniefähigkeit der herrschenden Klasse schwinden (138f).
Wie allerdings nötige Zwischenschritte aussehen könnten, wird nicht gefragt.

»Verdammt nah' am Schlager – nur besser gesungen«

© Thomas, Marburg
in: Position. Magazin der SDAJ, Nr. 1, Februar 2006



Andi Courage
Zwei von Millionen (2005)


Mit seiner neusten selbstproduzierten CD hat Andi Courage ganz klar auch seine bisher beste vorgelegt.
Bei „2 von Millionen“ kommen erstmals neben Gitarren und Keyboards auch Bässe zum Einsatz, was, zusammen mit den herrlichen Gesangsmelodien, das Hörerlebnis zwischen Johnny Cash und Blumfeld ansiedelt. Auch die Qualität der Produktion hat sich weiter gesteigert und sicher eine radiotaugliche Ebene erreicht. Zwar gibt es hier und da ein paar wenige Textzeilen, die einen wünschen lassen, Andi wäre länger als ein paar Monate in der SDAJ geblieben und hätte die Bildungsarbeit ernster genommen, aber das stört nicht weiter. Immerhin weiß der Hildesheimer Liedermacher immer noch, dass der Hauptfeind „im eigenen Land“ steht und sein Herz gehört weiter dem „Arbeiter-Ding“. Textlich fällt vor allem auf, dass er sich von abstraktem Selbstfindungs-Klimbim verabschiedet hat und sich mehr und mehr der real-erfahrbaren Welt widmet und zwar auf eine sehr entzückende Art. Alles in allem ein gelungener Beitrag zur modernen Sozialromantik, der mehr als gefällt!

Zur Lage der arbeitenden Klassen

© Thoma Lühr
in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 63, September 2005



Projekt Klassenanalyse@BRD, Zweifel am Proletariat. Wiederkehr der Proletarität. Beiträge zur Klassenanalyse, Band 1, Edition Marxistische Blätter, Neue Impulse Verlag. Essen 2004, 134 S., 9,90 Euro.

In Zeiten, in denen die Arbeiterklasse und ihre „historische Mission“ sogar schon von MarxistInnen tot geredet werden, scheint eine aktuelle Analyse der Klassengesellschaft nötiger denn je. Die Marx-Engels-Stiftung der DKP hat 2003 das „Projekt Klassenanalyse@BRD“ ins Leben gerufen. In der Tradition der Untersuchungen des IMSF zur Klassen- und Sozialstrukturanalyse der BRD haben sich verschiedene marxistische WissenschaftlerInnen und Arbeitsgruppen zusammengefunden, die, auf Grundlage bescheidener finanzieller Mittel, die Herausforderung einer Analyse der bundesdeutschen Klassenverhältnisse aufnehmen wollen. Im Vordergrund dabei steht vor allem, wie sich die zunehmende soziale Polarisierung zwischen Kapital & Arbeit nicht nur zwischen den Klassen, sondern auch innerhalb der Arbeiterklasse selbst und auf ihr Bewußtsein auswirkt.
Wie Ekkehard Lieberam in seiner Einführung betont, versteht sich das Projekt als ein Beitrag, um aus der Defensive der klassentheoretischen Gesellschaftsinterpretation herauszu-kommen und diesen Ansatz wieder in der linken Debatte sowie im Alltagsbewusstsein zu verankern (11).

In seinem Beitrag „Zweifel am Proletariat. Widersprüche zwischen Alltagsbedürfnissen und den objektiven Interessen der Arbeiterklasse“ verdeutlicht der Göttinger Sozialwissenschaftler Jörg Miehe zunächst den Anspruch des Projekts: Durch die Untersuchung verschiedener Felder (objektive ökonomische Lage, politisches Klassenhandeln, Alltagsleben, Ansichten & Einstellungen) müssten die Vergangenheit erklärende und für die nahe Zukunft prognostizierbare Verbindungen untereinander ausgemacht werden (19). Dabei gehe es darum, wie sich objektives Klasseninteresse und praktisches Bewusstsein auf die Vermittlung der beiden Pole Klassenlage und Klassenhandeln auswirke (21) und wie es gelänge, die von den Beschäftigen wahrgenommene „betriebliche Unver-nunft“ als gesellschaftliche Widersprüche zu vermitteln, um zu einem realistischen Bild der gesellschaftlichen Verhältnisse zu kommen (26).

Werner Seppmann, der neue Vorsitzende der Marx-Engels-Stiftung, analysiert in seinem Beitrag „Soziale Spaltung und Klassenstruktur“ die neoliberalen Spaltungsstrategien unter den Bedingungen der zunehmenden post-sozialstaatlichen Armut. Seppmann sieht die von Karl-Heinz-Roth Mitte der 90er beschriebenen Tendenzen der Prekarisierung und der Entstehung eines „neuen Proletariats“ nicht mehr als eine Tendenz unter vielen, sondern als die momentan dominante (45). Beide Segmente (Etablierte und Randständige) hätten ihre je eigene Funktion (Stabilisierung und Disziplinierung) für die Reproduktion des Klassenverhältnisses. Die Klassenanalyse müsse trotz der realen Spaltung das Verbindende zwischen den Segmenten herausarbeiten und organisatorische Modelle zur Förderung der Bewusstwerdung und Artikulation von Klasseninteressen entwickeln (52f).

Der Ehrenvorsitzende der Stiftung, Robert Steigerwald, liefert zunächst einen historischen Überblick über die „Gründe für die Zurückdrängung von Klassenbewusstsein in der Arbeiterklasse“. Dabei bezieht er sich sowohl auf subjektive Faktoren als auch auf objektive. Sodann widmet er sich der Perspektive von Gegenwirkungen, die der Zurückdrängung von Klassenbewusstsein Einhalt gebieten können. Wesentlich ist bei Steigerwald dabei der Kampf in den Gewerkschaften sowie die politische Partei der Arbeiterklasse samt ihrer Organe, insbesondere ihre erzieherische und ideologische Arbeit. In der Agitation und Propaganda seien vor allem die Zusammenhänge zwischen Reform und Revolution, die Eigentums- und Systemfrage von oberster Priorität. Es gelte zu beachten: „In allen so genannten kleinen Fragen stecken die großen drin“ (68).

Während Steigerwald wohl vor allem die DKP meint, wenn er sich auf die Partei der Arbeiterklasse bezieht, ohne sich allerdings näher mit ihrem Zustand auseinander zu setzen, konstatieren Andreas Hesse und Herbert Münchow das reale Fehlen einer solchen Partei und fordern sie vehement ein (90). Ihr Beitrag zur „Reorganisation der Arbeiterklasse und Gewerkschaftsbewegung“ wagt aber vor allem eine Kritik an den bundesdeutschen Gewerkschaften. Dabei betonen die Autoren auch die Verantwortung der passiven Basis für den sozialpartnerschaftlichen Kurs ihrer Führung. Die Gewerkschaften vertreten nicht die Massen, sondern entwickelten sich zunehmend zu einer privilegierten Interessensvertretung der Facharbeiter und Angestellten (85). Der Standpunkt sozialistischer innergewerkschaftlicher Opposition müsse darin beste-hen, an die Prekären und Arbeitslosen zu appellieren „und von hier aus zu fordern, dass die Gewerkschaften ihrem Gründungszweck als proletarische Kampforganisationen wieder dienstbar gemacht werden“ (86). Zentrale Forderung, um der Vereinigung der Klasse gerecht zu werden, müsse weiterhin die nach der Verkürzung der Arbeitszeit sein (86).

Der Beitrag von Hans-Peter Brenner aus Bonn widmet sich den „Probleme[n] bei der Erfassung und Analyse proletarischen Klassenbewusstseins“. Ausgehend von den Konzeptionen amerikanischer Sozialpsychologen, zeigt er, dass die einfache Vermittlung politischer Information, selbst, wenn sie an offensichtlichen Klassenwidersprüchen und -interessen ansetze, nicht ausreichend für die Zurückdrängung der Dominanz bürgerlicher Ideologie ist. Individuen tendieren dazu, durch innere und vorgelagerte „Einstellungen“, konsonante von dissonanten Informationen zu selektieren, um ihr „Konsistenz-Bedürfnis“ zu befriedigen (101f). Daraus ergeben sich für das Projekt Klassenanalyse die Aufgaben das Fundament dieser Einstellungen zu erfassen und zu untersuchen, wie man diese beeinflussen könne (104). Brenner selbst nennt bürgerliche Mythen als einen wesentlichen Bestandteil dieser Einstellungen, wie bspw.: „Der kleine Mann ist sowieso immer der Betrogene“. Es müsse das Ziel sein diese nicht nur zu überwinden, sondern selbst positiv zu besetzen oder gar eigene proletarische Mythen zu entwickeln (105f).

Ralf Dorau unterscheidet in seinem Beitrag „Klassentheorie und Klas-senanalyse“ zunächst eine klassen-theoretische („strukturalistische“) und eine klassenanalytische („konkret-historische“) Definition des Begriffs „Klasse“ bei Marx (110f). Diese Definitionen müssten zusammengebracht werden. Die Klassenanalyse müsse sich außerdem mit den widersprüchlichen Klassenlagen (Überschneidungen zwischen den Klassen, z.B.: Manager) befassen. Dorau betont, dass die vergesellschafteten Individuen sich erst durch ihr Handeln als konkrete Klassensubjekte realisieren (113). Deswegen sei eine Analyse, die sich an der Funktion der Arbeitsteilung orientiert zwar notwendig, aber nicht ausreichend. Es bedürfe außerdem der Einbeziehung handlungstheoretischer Überlegungen, sowie der Untersu-chung politischer, kultureller und ideologischer Faktoren (115).

Der Beitrag des Dänen Lars Ulrik Thomsen hat „die Verschiebungen der Klassenstruktur der 80er Jahre, die daraus resultierenden Allianzmöglichkeiten und die Bedeutungen der wissenschaftlich-technischen Revolution“ zum Gegenstand. Er bezweifelt, dass sich die KommunistInnen ausreichend auf die Umwälzungen des 20. Jahrhunderts eingestellt haben und macht das an verschiedenen Fragen deutlich. So müsse der gestiegene Anteil der Wissenschaft an den Produktivkräften Anlass sein, die Bedeutung der Intelligenz neu zu bewerten und die Auswirkungen auf die Klassenstrukturen zu untersuchen (119). Diese Veränderung hätte außerdem Auswirkungen auf das Verhältnis von Klassen- und Menschheitsinteressen und würde vor allem in der Friedensfrage neue Bündnismöglichkeiten ergeben (120f).

Alles in allem lässt sich über diesen ersten Band sagen, dass er nicht unbedingt viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse liefert. Seine Stärke besteht aber gerade darin, die relevanten Erkenntnisse zusammenzuführen und sie in die Bedeutung für eine marxistische Klassenanalyse einzuordnen. Die Tatsache, dass der Band gerade in die dritte Auflage geht, zeigt den bestehenden Bedarf. Sehr gespannt sein darf man auf die nächste Publikation „Strukturveränderungen der Klassengesellschaft“, die im Herbst 2005 erscheinen soll.

Kleiner Trompeter auf Koks

© Thomas, Marburg
in: Position. Magazin der SDAJ, Nr. 3, Juni 2005



Arbeit
Marx (2004)


Das gute alte Arbeiterlied ist beim Durchschnittspositionsleser wohl hinlänglich bekannt und beliebt, doch eignet es sich für gewöhnlich ja nicht um damit das Publikum der Stammdiskothek zu begeistern. Es wäre doch eine lohnenswerte Herausforderung dieses Kulturgut der Arbeiterklasse mal auf den heutigen Stand der Musikkultur zu heben. Dieses hat sich das Frankfurter Trio „Arbeit“ zur Aufgabe gemacht. Allerdings scheinen sie damit trotzdem nur ein besonders exklusives Publikum ansprechen zu wollen.
Auf ihrer aktuellen CD „Marx“ neuinterpretieren sie Hits der Arbeiterbewegung. Brecht, Eisler, Busch und Co. sollen so zu neuem Leben erwachen. Leider geschieht dies anscheinend zusammen mit dem Versuch die bürgerliche Harmonielehre schöpferisch aufzuheben, was nur selten dem Ohr der gewöhnlichen HörerIn zugänglich ist.
So wird collagenartig mit Samples, Verzerrern und anderen Entfremdungstechniken gearbeitet. Herausgekommen ist ein „Spartakuslied“, das wie ein Gruselhörspiel wirkt, ein „kleiner Trompeter“ auf Koks, sowie eine experimentelle Version von „Auferstanden aus Ruinen“, die klingt als hätte man sie musikalisch um die vorübergehende Niederlage der ArbeiterInnenbewegung von ’89 aktualisiert.
Die Hälfte der auf der CD enthaltenden 53 Minuten wirkt eher gruselig und fremd. Aber es gibt auch dem unstudierten Publikum zugängliche Tracks. „Der heimliche Aufmarsch“ (Eisler/Weinert/Busch) und „Die Internationale“ kommen bspw. als durchaus tanzbare Club-Remixes daher, die nun wirklich Spaß machen und massentauglich sind. Sie haben genau das, was der Kommunismus in Zukunft brauchen wird: sexy Sounds & fette Beats!

Modern Liedermaching

© Thomas, Marburg
in: Position. Magazin der SDAJ, Nr. 3, Juni 2005



Andi Courage
Vergiß die alte Ordnung (2005)


Vielleicht ist dem Einem oder der Anderen Andi Courage noch als Sweetwater bekannt. Unter diesem Pseudonym begeisterte er einst eine eingeschworene Fan-Gemeinde mit Keyboard und erfrischend eigenwilligem Songwriting.
Heute hat der Hildesheimer Künstler sein Keyboard gegen eine Gitarre getauscht und eine neue CD aufgenommen. Was er nicht getauscht hat, sind seine sich zwischen politischem Protestlied und sympathischer Selbstreflexion bewegenden Lyrics. So befinden sich auch auf „Vergiss die alte Ordnung“ Lieder über Liebe, Lenin und Leidenschaft.
Humorvoll stellt Andi im „Protestlied“ ganz ungeniert die Klassenfrage. An anderer Stelle wird unter dem ironischen Titel „Goodbye Lenin“ mit Dutschke und seinen etablierten 68ern abgerechnet, die „frühe“ (?) Sowjetunion abgefeiert und geschlussfolgert: „’Was tun?’ fragte schon Lenin / und ’was geht?’ rufen die Kids / die Antwort ist die gleiche / Lenins Kids sind angepisst“.
Sehr schön sind auch Liebeslieder wie „Meine Liebe, 1000 Euro & ein Fahrrad“, das von der Schwierigkeit erzählt, im Kapitalismus unbeschwert glücklich zu werden.
Musikalisch ist Andi ganz undogmatisch: Lagerfeuerhymnen, die auch mal rocken können, stehen neben Country-Song und Schmusepoplied. Alles sehr angenehm minimalistisch gehalten, meist basierend auf der klassischen Gitarre, untermauert mit Orgel oder Percussion und sehr professionell abgemischt, wird uns so modernes, politisch-engagiertes Songwriting präsentiert. Mehr davon!

Revolutionary but Gangsta

© Björn, Braunschweig & Thomas, Marburg
in: Position. Magazin der SDAJ, Nr. 5/6, Dezember 2004



Dead Prez
Let’s Get Free (2000)
Turn The Radio Off (2002)
Get Free Or Die Trying (2003)
RBG: Revolutionary But Gangsta (2004)


HipHop mal anders: Nicht nur brennende Mülltonnen, Luxusautos und Goldketten, sondern eine Stimme des Ghettos und aller unterdrückten Amerikanerinnen und Amerikaner: Das sind Dead Prez. Sie rappen gegen den “Police State”, gegen Rassismus, gegen den Krieg und die Armut, die die tägliche Gewalt in den Straßen verursacht. In Deutschland kaum vorstellbar, schafften es die beiden MCs Stic.man und M-1 mit einer Melange aus Gangstarap und Revolution ganz nach oben im US-Rap und führen die Traditionen von Legenden wie Tupac, Chuck D und KRS-One fort. Sie featureten bislang u.a. Jay-Z, Tahir, Krayzie Bone und stellten mit “Hell Yeah (Pimp the System)” den Titelsong zu “2 Fast 2 Furious“. Zusammen mit Zack de la Rocha (Ex-Rage Against The Machine) steuerten sie außerdem einen Titel zum Soli-Sampler „Mumia 911“ bei.

Der Sound von Dead Prez kommt „dunkel“, halt mit Gangsta-Attitüde daher. Mal fette, mal minimalistische Beats, die trotzdem knallen, werden von lässigen Bass-Loops unterstützt. Darauf aufbauend kommen verschiedene Samples, die mal in Richtung Blues oder Rock und mal in Richtung Reggae oder R’n B gehen zum Einsatz. Die eingängigen Refrains werden hin und wieder von Soulgesängen getragen, während sich die Raps zwischen smooth-melodischen und stakkato-rhythmischen Rhymes bewegen.

M-1 wuchs zuerst in Jamaika und dann in Brooklyn auf; politisiert wurde er durch die Malcolm X Biografie. Stic.man stammt aus Florida und rappte zum ersten Mal in der 9. Klasse auf einem Schulwettbewerb, wo er mit seinem Lied “Black as I can get” für Aufruhr sorgte. Er trat in die NAACP (National Association For The Advancement Of Colored People) ein. Dort lernte er M-1 kennen und sie beschlossen zusammen zu rappen und auf ihre Weise die linke Bürgerrechtsbewegung zu unterstützen. Sie betrachten ihre Musik als eine moderne Form der Kommunikation, ein Werkzeug, das, ähnlich wie die Zeitung der Black Panthers, eine Waffe im Befreiungskampf ist.

Mit dem 2000er Album “Let’s Get Free” gelang ihnen der Durchbruch. Vom politischen Gehalt her ist es ihr bestes Album. Hier werden gnadenlos sämtliche Aspekte des US-Kapitalismus angegriffen. So ist z.B. “They Schools” eine Anklage gegen das rassistische Schulsystem: “They aint teachin us nothin but how to be slaves and hardworkers / For white people to build up they shit / Make they businesses successful while it's exploitin us / and they aint teachin us nothin related to solvin our own problems.“ “Behind Enemy Lines” erzählt beispielhaft vom Elend der weißen und schwarzen Arbeiterklasse, während “Propaganda” ein Rundumschlag gegen die Propagandalügen der Herrschenden ist.

Das letzte Album (2004) ist “RBG: Revolutionary But Gangsta“. RBG bedeutet auch Red, Black, Green, die panafrikanischen Freiheitsfarben. Nach eigenen Angaben soll das Album im Vergleich zum Debüt weniger „theorielastig“ sein. So wird weniger auf die Weltpolitik und mehr auf die unmittelbaren Alltagsprobleme der Kids eingegangen.
Überwiegend autobiografisch werden Geschichten aus den „Ghettos“ und „Hoods“ erzählt: Geschichten über Drogen und Alkohol, Armut und Kriminalität die sich allerdings sehr vom „Mein Block“-Geprolle eines Sidos unterscheiden (das Märkische Viertel ist halt nicht Brooklyn!). Dead Prez wollen sich nicht profilieren und die Realität so hinnehmen wie sie ist. Sie haben den Klassenkampf längst verstanden und wollen die Macht erringen. Und das ist auch ihre Message. So konstatiert M-1: „Es ist die Bedeutung des revolutionären Kampfes den Herrschenden die Macht zu entreißen, die sie uns genommen haben und den Reichtum zurück zu erobern. Es ist ein weltweiter Kampf, an dessen Ende der Sieg über den Kapitalismus und den Imperialismus stehen wird.“

Dead Prez sind die glaubwürdige Antwort auf die vorherrschende Belanglosigkeit im Rap. Insofern bringen sie den US-Hip-Hop wieder dahin, wo er angefangen hat: Als wortgewaltige Waffe der fortschrittlichen (schwarzen) Bewegung im Kampf gegen Rassismus und für eine eigene Kultur, die nicht von der (weißen) herrschenden Klasse aufgedrückt wird. Dass sie damit auch noch kommerziell sehr erfolgreich und keinesfalls Außenseiter sondern „100% Gangstarap“ sind, passiert wohl nur im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Know’m sayin?
logo

compay:online

«KLEINBÜRGER AUF ABWEGEN»

»Playlist


Die Goldenen Zitronen
Lenin


The Paperbacks
An Episode of Sparrows

»NEWS

»Empfehlungen


Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend
SDAJ


Autorin
Iris Rudolph


Zeitung der DKP Marburg
Marburger Echo



Zeitschrift
Marxistische Blätter


Uber-Band!
The Weakerthans


Freund & Kollege
Andi Courage


Kleinkunst
Talente Online


Liedermacher
Kai Degenhardt



Singer-Songwriter
Greg Macpherson


»so man die Verhältnisse nicht nur anschauen möchte«
Magis China-Blog


Unsere Zeit(ung)
UZ


Deutschlands bester Rapper
Prinz Pi



linke Tageszeitung
junge Welt



großartige Rockband
Jupiter Jones


Master of Entertainement himself
Bernd Begemann


Zeitschrift
Theorie & Praxis


Dichter
Peter Hacks


Ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung des realistischen Sozialismus
Rotfuchs


Nachrichtenportal
RedGlobe


Deutsche Kommunistische Partei
DKP


sympathischer Historiker
Kurt Gossweiler