Umrisse einer ökonomischen Analyse des Kapitalismus heute
© Thomas Lühr
in: Das Argument – Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften, Nr. 265, H.2/2006

Knolle-Grothusen, Ansgar, u. Peter Hartmann, Umrisse einer ökonomischen Analyse des Kapitalismus heute, Topos. Internationale Beiträge zur dialektischen Theorie, hgg. v. H.H. Holz u. D. Losurdo, Sonderheft 1, La Città del Sole, Neapel 2005 (147 S., br., 8,50 €)
• Inhaltsverzeichnis, Vorbemerkung und Bestellung des Buches
• unbearbeitetete Vorversion des Buches als PDF-Datei
Analysen der kapitalistischen Entwicklung wirken sich strukturierend auf Strategie und Praxis linker Akteure aus – in diesem Fall auf die Programmdiskussion der DKP, in deren Rahmen diese Arbeit entstanden ist. Als Intervention der »radikalen Linken« in die Programmdebatte stellt sie den Versuch dar, zu klären, wie die »empirisch wahrnehmbaren Oberflächenerscheinungen mit den zugrunde liegenden ökonomischen Gesetzmäßigkeiten und Kategorien vermittelt sind« (11).
Nach einer kurzen Skizze der Grundlinien der historischen Entwicklung des Kapitalismus wird die Phase seit 1971 analysiert: sie ist bekanntermaßen geprägt durch erneute Ausweitung des Welthandels und zunehmende internationale Kapitalverflechtung – führt jedoch keinesfalls zu einer Vereinheitlichung des Weltmarktes. Vielmehr sind es gerade die unterschiedlichen Verwertungsbedingungen, die den Kapitalexport befördern und Bewegung in die Rangfolge der konkurrierenden Länder bringen (71). Populärwissenschaftliche Thesen wie die Loslösung des Kapitals von seiner nationalen Basis oder die Bedeutungs- und Funktionslosigkeit der Nationalstaaten werden abgewiesen. Für die Funktionsweise des Weltmarktes und des Weltgeldes ist »die Zuordnung sämtlichen produzierten Mehrwerts als angeeignet letztlich von einer bestimmten Person, die einer bestimmten Nation zugeordnet ist [...,] unverzichtbar« und zeige sich an der Bedeutung nationaler Zahlungsbilanzen (d.h. der prinzipiellen Unterscheidung intra- von internationalen Transaktionen) für das Wechselverhältnis der nationalen Währungen (75). Die verstärkte Herausbildung supra- bzw. transnationaler Strukturen hingegen sei nur der Ort und Ausdruck der Entfaltung der Formen, in denen die Widersprüche zwischen den Nationalstaaten ausgetragen würden (ebd.), welche das Entwicklungspotenzial des Weltmarktes – als Feld der ungleichmäßigen Entwicklung – bildeten. Auf eine eventuelle eigene Qualität dieser Strukturen wird nicht eingegangen. Verf. betonen vielmehr das Fortbestehen der Widersprüche zwischen den Staaten: »Der Kapitalismus kann die Einheit nur in gegensätzlicher Form produzieren« (76).
Ausgehend vom leninschen Imperialismusbegriff stellen Verf. Monopole als ökonomisches Grundmerkmal auch des neuen Kapitalismus in den Vordergrund; marxistisch verstanden als »Ergebnis eines höheren Grades von Konzentration und Zentralisation« und nicht als »Alleinrecht« (82). Monopole setzen »die Existenz des Nichtmonopols voraus«, »jene Sphären der Produktion«, in denen »der die Quelle des Monopolprofits bildende Mehrwert geschaffen wird, denn wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren« (83).
Ferner wenden sich Verf. gegen die verbreitete These, es bestehe eine Dominanz des Geldkapitals gegenüber dem industriellen Kapital (88ff). Wegen der Notwendigkeit des Kapitals, sich weltweit positionieren zu müssen, bedürfe es im neuen Kapitalismus im Verhältnis zum fungierenden Kapital größerer Mengen Geldkapitals, z.B. als Kampffonds für Übernahmen (69). Nur so könne das mit ihm verbundene produktive Kapital auf dem Weltmarkt bestehen; beide Formen ließen sich nicht von einander trennen (90). Zwar erhöhe sich die Rolle der Spekulation, doch die Tendenz zur Verselbstständigung wird eher gering geschätzt und auf die Verschärfung von Krisenprozessen beschränkt: Investmentbanken, Rating Agenturen und Investmentfonds »lösen keine Krisen aus, sondern reagieren auf die Krisenprozesse des Kapitalismus und verstärken sie dadurch« (89).
In Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Ökonomie wird gezeigt, wie sich aus dem Keynesianismus dialektisch sein Gegenpol, der Neoliberalismus, entwickelt hat (107f). Verf. gehen von zwei widersprüchlichen Polen der Ökonomietheorie aus, wobei die jeweiligen Theorie-Konjunkturen Ausdruck der wirklichen Bewegung der Widersprüche in der Produktionsweise und des Versuches seien, diese theoretisch zu harmonisieren, während die wirtschaftliche Praxis pragmatisch zwischen den Polen lavieren müsse (96ff). »Als in sich geschlossene Schulen bestimmten Keynesianismus oder Neoliberalismus nie absolut die wirtschaftspolitische Praxis. Weil sie praktisch sein muss, muss sie widersprüchliche Elemente in sich aufnehmen« (112).
Schlusspunkt ist die Kritik einer linken »Robin-Hood-Romantik« (128), die sich nicht von der Logik des Privateigentums löse und den Unterschied zwischen Wert und Gebrauchswert verwische (Z.B.: »Es ist genug für alle da!«). Die Forderung nach Umverteilung »geht nicht auf die unmittelbare Verteilung der Konsumgüter oder Produktionsmittel, sondern sie geht auf die abstrakte Form des Reichtums« zurück (130) und stellt »nicht das Kapitalverhältnis zur Disposition«, sondern die »diesem Verhältnis entspringende quantitative Verschiedenheit« der Einkommen (132). Die Eigentumsfrage werde falsch gestellt, »nämlich von der Egalisierung und nicht von der Aufhebung des Privateigentums her« (131). Hintergrund sei ein verkürzter Kapitalbegriff, der nicht von einem bestimmten historischen Verhältnis der Menschen zueinander ausgehe – auf Grundlage der Ausbeutung von Lohnarbeit –, sondern von einer »Sache« (Geld), die eine bestimmte Personengruppe anhäuft (136). Verf. sehen in dieser Mystifizierung des Kapitalverhältnisses und der daraus folgenden Beschränkung der Auseinandersetzungen auf die Ebene der Distribution eine Grundlage für die Funktions- und Hegemoniefähigkeit des kapitalistischen Systems (138).
Eine Praxis, die diese Hegemonie in Frage stellen könnte, wird nur angedeutet. Insbesondere bei den französischen SUD-Basis-Gewerkschaften hätten sich im letzten Jahrzehnt Kampfformen entwickelt, in denen »die Arbeiter sich nicht mehr nur auf ihre Rolle als Lohnabhängige reduzieren lassen oder zurückziehen, sondern sich als gesellschaftliche Produzenten begreifen« (88). In dem Maße, in dem die Arbeiterklasse ihre Praxis nach der Erkenntnis ausrichte, dass das Kapital ein unnötiges Hindernis für die sinnvolle Organisation des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses bilde, würde auch die Hegemoniefähigkeit der herrschenden Klasse schwinden (138f).
Wie allerdings nötige Zwischenschritte aussehen könnten, wird nicht gefragt.
in: Das Argument – Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften, Nr. 265, H.2/2006

Knolle-Grothusen, Ansgar, u. Peter Hartmann, Umrisse einer ökonomischen Analyse des Kapitalismus heute, Topos. Internationale Beiträge zur dialektischen Theorie, hgg. v. H.H. Holz u. D. Losurdo, Sonderheft 1, La Città del Sole, Neapel 2005 (147 S., br., 8,50 €)
• Inhaltsverzeichnis, Vorbemerkung und Bestellung des Buches
• unbearbeitetete Vorversion des Buches als PDF-Datei
Analysen der kapitalistischen Entwicklung wirken sich strukturierend auf Strategie und Praxis linker Akteure aus – in diesem Fall auf die Programmdiskussion der DKP, in deren Rahmen diese Arbeit entstanden ist. Als Intervention der »radikalen Linken« in die Programmdebatte stellt sie den Versuch dar, zu klären, wie die »empirisch wahrnehmbaren Oberflächenerscheinungen mit den zugrunde liegenden ökonomischen Gesetzmäßigkeiten und Kategorien vermittelt sind« (11).
Nach einer kurzen Skizze der Grundlinien der historischen Entwicklung des Kapitalismus wird die Phase seit 1971 analysiert: sie ist bekanntermaßen geprägt durch erneute Ausweitung des Welthandels und zunehmende internationale Kapitalverflechtung – führt jedoch keinesfalls zu einer Vereinheitlichung des Weltmarktes. Vielmehr sind es gerade die unterschiedlichen Verwertungsbedingungen, die den Kapitalexport befördern und Bewegung in die Rangfolge der konkurrierenden Länder bringen (71). Populärwissenschaftliche Thesen wie die Loslösung des Kapitals von seiner nationalen Basis oder die Bedeutungs- und Funktionslosigkeit der Nationalstaaten werden abgewiesen. Für die Funktionsweise des Weltmarktes und des Weltgeldes ist »die Zuordnung sämtlichen produzierten Mehrwerts als angeeignet letztlich von einer bestimmten Person, die einer bestimmten Nation zugeordnet ist [...,] unverzichtbar« und zeige sich an der Bedeutung nationaler Zahlungsbilanzen (d.h. der prinzipiellen Unterscheidung intra- von internationalen Transaktionen) für das Wechselverhältnis der nationalen Währungen (75). Die verstärkte Herausbildung supra- bzw. transnationaler Strukturen hingegen sei nur der Ort und Ausdruck der Entfaltung der Formen, in denen die Widersprüche zwischen den Nationalstaaten ausgetragen würden (ebd.), welche das Entwicklungspotenzial des Weltmarktes – als Feld der ungleichmäßigen Entwicklung – bildeten. Auf eine eventuelle eigene Qualität dieser Strukturen wird nicht eingegangen. Verf. betonen vielmehr das Fortbestehen der Widersprüche zwischen den Staaten: »Der Kapitalismus kann die Einheit nur in gegensätzlicher Form produzieren« (76).
Ausgehend vom leninschen Imperialismusbegriff stellen Verf. Monopole als ökonomisches Grundmerkmal auch des neuen Kapitalismus in den Vordergrund; marxistisch verstanden als »Ergebnis eines höheren Grades von Konzentration und Zentralisation« und nicht als »Alleinrecht« (82). Monopole setzen »die Existenz des Nichtmonopols voraus«, »jene Sphären der Produktion«, in denen »der die Quelle des Monopolprofits bildende Mehrwert geschaffen wird, denn wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren« (83).
Ferner wenden sich Verf. gegen die verbreitete These, es bestehe eine Dominanz des Geldkapitals gegenüber dem industriellen Kapital (88ff). Wegen der Notwendigkeit des Kapitals, sich weltweit positionieren zu müssen, bedürfe es im neuen Kapitalismus im Verhältnis zum fungierenden Kapital größerer Mengen Geldkapitals, z.B. als Kampffonds für Übernahmen (69). Nur so könne das mit ihm verbundene produktive Kapital auf dem Weltmarkt bestehen; beide Formen ließen sich nicht von einander trennen (90). Zwar erhöhe sich die Rolle der Spekulation, doch die Tendenz zur Verselbstständigung wird eher gering geschätzt und auf die Verschärfung von Krisenprozessen beschränkt: Investmentbanken, Rating Agenturen und Investmentfonds »lösen keine Krisen aus, sondern reagieren auf die Krisenprozesse des Kapitalismus und verstärken sie dadurch« (89).
In Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Ökonomie wird gezeigt, wie sich aus dem Keynesianismus dialektisch sein Gegenpol, der Neoliberalismus, entwickelt hat (107f). Verf. gehen von zwei widersprüchlichen Polen der Ökonomietheorie aus, wobei die jeweiligen Theorie-Konjunkturen Ausdruck der wirklichen Bewegung der Widersprüche in der Produktionsweise und des Versuches seien, diese theoretisch zu harmonisieren, während die wirtschaftliche Praxis pragmatisch zwischen den Polen lavieren müsse (96ff). »Als in sich geschlossene Schulen bestimmten Keynesianismus oder Neoliberalismus nie absolut die wirtschaftspolitische Praxis. Weil sie praktisch sein muss, muss sie widersprüchliche Elemente in sich aufnehmen« (112).
Schlusspunkt ist die Kritik einer linken »Robin-Hood-Romantik« (128), die sich nicht von der Logik des Privateigentums löse und den Unterschied zwischen Wert und Gebrauchswert verwische (Z.B.: »Es ist genug für alle da!«). Die Forderung nach Umverteilung »geht nicht auf die unmittelbare Verteilung der Konsumgüter oder Produktionsmittel, sondern sie geht auf die abstrakte Form des Reichtums« zurück (130) und stellt »nicht das Kapitalverhältnis zur Disposition«, sondern die »diesem Verhältnis entspringende quantitative Verschiedenheit« der Einkommen (132). Die Eigentumsfrage werde falsch gestellt, »nämlich von der Egalisierung und nicht von der Aufhebung des Privateigentums her« (131). Hintergrund sei ein verkürzter Kapitalbegriff, der nicht von einem bestimmten historischen Verhältnis der Menschen zueinander ausgehe – auf Grundlage der Ausbeutung von Lohnarbeit –, sondern von einer »Sache« (Geld), die eine bestimmte Personengruppe anhäuft (136). Verf. sehen in dieser Mystifizierung des Kapitalverhältnisses und der daraus folgenden Beschränkung der Auseinandersetzungen auf die Ebene der Distribution eine Grundlage für die Funktions- und Hegemoniefähigkeit des kapitalistischen Systems (138).
Eine Praxis, die diese Hegemonie in Frage stellen könnte, wird nur angedeutet. Insbesondere bei den französischen SUD-Basis-Gewerkschaften hätten sich im letzten Jahrzehnt Kampfformen entwickelt, in denen »die Arbeiter sich nicht mehr nur auf ihre Rolle als Lohnabhängige reduzieren lassen oder zurückziehen, sondern sich als gesellschaftliche Produzenten begreifen« (88). In dem Maße, in dem die Arbeiterklasse ihre Praxis nach der Erkenntnis ausrichte, dass das Kapital ein unnötiges Hindernis für die sinnvolle Organisation des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses bilde, würde auch die Hegemoniefähigkeit der herrschenden Klasse schwinden (138f).
Wie allerdings nötige Zwischenschritte aussehen könnten, wird nicht gefragt.
compay - 21. Mai, 13:48