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Zuletzt aktualisiert: 18. Feb, 01:42

Zur Lage der arbeitenden Klassen

© Thoma Lühr
in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 63, September 2005



Projekt Klassenanalyse@BRD, Zweifel am Proletariat. Wiederkehr der Proletarität. Beiträge zur Klassenanalyse, Band 1, Edition Marxistische Blätter, Neue Impulse Verlag. Essen 2004, 134 S., 9,90 Euro.

In Zeiten, in denen die Arbeiterklasse und ihre „historische Mission“ sogar schon von MarxistInnen tot geredet werden, scheint eine aktuelle Analyse der Klassengesellschaft nötiger denn je. Die Marx-Engels-Stiftung der DKP hat 2003 das „Projekt Klassenanalyse@BRD“ ins Leben gerufen. In der Tradition der Untersuchungen des IMSF zur Klassen- und Sozialstrukturanalyse der BRD haben sich verschiedene marxistische WissenschaftlerInnen und Arbeitsgruppen zusammengefunden, die, auf Grundlage bescheidener finanzieller Mittel, die Herausforderung einer Analyse der bundesdeutschen Klassenverhältnisse aufnehmen wollen. Im Vordergrund dabei steht vor allem, wie sich die zunehmende soziale Polarisierung zwischen Kapital & Arbeit nicht nur zwischen den Klassen, sondern auch innerhalb der Arbeiterklasse selbst und auf ihr Bewußtsein auswirkt.
Wie Ekkehard Lieberam in seiner Einführung betont, versteht sich das Projekt als ein Beitrag, um aus der Defensive der klassentheoretischen Gesellschaftsinterpretation herauszu-kommen und diesen Ansatz wieder in der linken Debatte sowie im Alltagsbewusstsein zu verankern (11).

In seinem Beitrag „Zweifel am Proletariat. Widersprüche zwischen Alltagsbedürfnissen und den objektiven Interessen der Arbeiterklasse“ verdeutlicht der Göttinger Sozialwissenschaftler Jörg Miehe zunächst den Anspruch des Projekts: Durch die Untersuchung verschiedener Felder (objektive ökonomische Lage, politisches Klassenhandeln, Alltagsleben, Ansichten & Einstellungen) müssten die Vergangenheit erklärende und für die nahe Zukunft prognostizierbare Verbindungen untereinander ausgemacht werden (19). Dabei gehe es darum, wie sich objektives Klasseninteresse und praktisches Bewusstsein auf die Vermittlung der beiden Pole Klassenlage und Klassenhandeln auswirke (21) und wie es gelänge, die von den Beschäftigen wahrgenommene „betriebliche Unver-nunft“ als gesellschaftliche Widersprüche zu vermitteln, um zu einem realistischen Bild der gesellschaftlichen Verhältnisse zu kommen (26).

Werner Seppmann, der neue Vorsitzende der Marx-Engels-Stiftung, analysiert in seinem Beitrag „Soziale Spaltung und Klassenstruktur“ die neoliberalen Spaltungsstrategien unter den Bedingungen der zunehmenden post-sozialstaatlichen Armut. Seppmann sieht die von Karl-Heinz-Roth Mitte der 90er beschriebenen Tendenzen der Prekarisierung und der Entstehung eines „neuen Proletariats“ nicht mehr als eine Tendenz unter vielen, sondern als die momentan dominante (45). Beide Segmente (Etablierte und Randständige) hätten ihre je eigene Funktion (Stabilisierung und Disziplinierung) für die Reproduktion des Klassenverhältnisses. Die Klassenanalyse müsse trotz der realen Spaltung das Verbindende zwischen den Segmenten herausarbeiten und organisatorische Modelle zur Förderung der Bewusstwerdung und Artikulation von Klasseninteressen entwickeln (52f).

Der Ehrenvorsitzende der Stiftung, Robert Steigerwald, liefert zunächst einen historischen Überblick über die „Gründe für die Zurückdrängung von Klassenbewusstsein in der Arbeiterklasse“. Dabei bezieht er sich sowohl auf subjektive Faktoren als auch auf objektive. Sodann widmet er sich der Perspektive von Gegenwirkungen, die der Zurückdrängung von Klassenbewusstsein Einhalt gebieten können. Wesentlich ist bei Steigerwald dabei der Kampf in den Gewerkschaften sowie die politische Partei der Arbeiterklasse samt ihrer Organe, insbesondere ihre erzieherische und ideologische Arbeit. In der Agitation und Propaganda seien vor allem die Zusammenhänge zwischen Reform und Revolution, die Eigentums- und Systemfrage von oberster Priorität. Es gelte zu beachten: „In allen so genannten kleinen Fragen stecken die großen drin“ (68).

Während Steigerwald wohl vor allem die DKP meint, wenn er sich auf die Partei der Arbeiterklasse bezieht, ohne sich allerdings näher mit ihrem Zustand auseinander zu setzen, konstatieren Andreas Hesse und Herbert Münchow das reale Fehlen einer solchen Partei und fordern sie vehement ein (90). Ihr Beitrag zur „Reorganisation der Arbeiterklasse und Gewerkschaftsbewegung“ wagt aber vor allem eine Kritik an den bundesdeutschen Gewerkschaften. Dabei betonen die Autoren auch die Verantwortung der passiven Basis für den sozialpartnerschaftlichen Kurs ihrer Führung. Die Gewerkschaften vertreten nicht die Massen, sondern entwickelten sich zunehmend zu einer privilegierten Interessensvertretung der Facharbeiter und Angestellten (85). Der Standpunkt sozialistischer innergewerkschaftlicher Opposition müsse darin beste-hen, an die Prekären und Arbeitslosen zu appellieren „und von hier aus zu fordern, dass die Gewerkschaften ihrem Gründungszweck als proletarische Kampforganisationen wieder dienstbar gemacht werden“ (86). Zentrale Forderung, um der Vereinigung der Klasse gerecht zu werden, müsse weiterhin die nach der Verkürzung der Arbeitszeit sein (86).

Der Beitrag von Hans-Peter Brenner aus Bonn widmet sich den „Probleme[n] bei der Erfassung und Analyse proletarischen Klassenbewusstseins“. Ausgehend von den Konzeptionen amerikanischer Sozialpsychologen, zeigt er, dass die einfache Vermittlung politischer Information, selbst, wenn sie an offensichtlichen Klassenwidersprüchen und -interessen ansetze, nicht ausreichend für die Zurückdrängung der Dominanz bürgerlicher Ideologie ist. Individuen tendieren dazu, durch innere und vorgelagerte „Einstellungen“, konsonante von dissonanten Informationen zu selektieren, um ihr „Konsistenz-Bedürfnis“ zu befriedigen (101f). Daraus ergeben sich für das Projekt Klassenanalyse die Aufgaben das Fundament dieser Einstellungen zu erfassen und zu untersuchen, wie man diese beeinflussen könne (104). Brenner selbst nennt bürgerliche Mythen als einen wesentlichen Bestandteil dieser Einstellungen, wie bspw.: „Der kleine Mann ist sowieso immer der Betrogene“. Es müsse das Ziel sein diese nicht nur zu überwinden, sondern selbst positiv zu besetzen oder gar eigene proletarische Mythen zu entwickeln (105f).

Ralf Dorau unterscheidet in seinem Beitrag „Klassentheorie und Klas-senanalyse“ zunächst eine klassen-theoretische („strukturalistische“) und eine klassenanalytische („konkret-historische“) Definition des Begriffs „Klasse“ bei Marx (110f). Diese Definitionen müssten zusammengebracht werden. Die Klassenanalyse müsse sich außerdem mit den widersprüchlichen Klassenlagen (Überschneidungen zwischen den Klassen, z.B.: Manager) befassen. Dorau betont, dass die vergesellschafteten Individuen sich erst durch ihr Handeln als konkrete Klassensubjekte realisieren (113). Deswegen sei eine Analyse, die sich an der Funktion der Arbeitsteilung orientiert zwar notwendig, aber nicht ausreichend. Es bedürfe außerdem der Einbeziehung handlungstheoretischer Überlegungen, sowie der Untersu-chung politischer, kultureller und ideologischer Faktoren (115).

Der Beitrag des Dänen Lars Ulrik Thomsen hat „die Verschiebungen der Klassenstruktur der 80er Jahre, die daraus resultierenden Allianzmöglichkeiten und die Bedeutungen der wissenschaftlich-technischen Revolution“ zum Gegenstand. Er bezweifelt, dass sich die KommunistInnen ausreichend auf die Umwälzungen des 20. Jahrhunderts eingestellt haben und macht das an verschiedenen Fragen deutlich. So müsse der gestiegene Anteil der Wissenschaft an den Produktivkräften Anlass sein, die Bedeutung der Intelligenz neu zu bewerten und die Auswirkungen auf die Klassenstrukturen zu untersuchen (119). Diese Veränderung hätte außerdem Auswirkungen auf das Verhältnis von Klassen- und Menschheitsinteressen und würde vor allem in der Friedensfrage neue Bündnismöglichkeiten ergeben (120f).

Alles in allem lässt sich über diesen ersten Band sagen, dass er nicht unbedingt viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse liefert. Seine Stärke besteht aber gerade darin, die relevanten Erkenntnisse zusammenzuführen und sie in die Bedeutung für eine marxistische Klassenanalyse einzuordnen. Die Tatsache, dass der Band gerade in die dritte Auflage geht, zeigt den bestehenden Bedarf. Sehr gespannt sein darf man auf die nächste Publikation „Strukturveränderungen der Klassengesellschaft“, die im Herbst 2005 erscheinen soll.

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