Studiengebühren und Ausbildungsplatzmangel:
Zwei Seiten einer Medaille
© Thomas Lühr
in: Marxistische Blätter, 4-06, August 2006. Leicht zensiert auch in der Marburger AStA:Zeitung, Ausgabe Juli 2006.
Deutschland macht dumm, vor allem MigrantInnen und Jugendliche aus sozial schwächeren Familien. Das ist uns spätestens seit der PISA-Studie bekannt. Verschärfte Selektion ist das Merkmal der aktuellen Bildungspolitik und gleichzeitig Ausdruck ihres Klassencharakters.
Hohe Bildung für die Elite
Besonders deutlich wird dies bei der jetzt überall forcierten Einführung von Studiengebühren: Wer künftig vom Studium abgehalten werden soll, wird mehr als offensichtlich und erregt zu Recht Empörung und massiven Protest. Die deutsche Elite, die sich schon seit Generationen überwiegend aus sich selbst rekrutiert, – 80% aller Manager kommen aus „Elite-Familien“, die nur 3% der Gesellschaft ausmachen – will auch weiterhin unter sich bleiben. Der Pöbel soll gehen. Und wohin?
Darauf hat z.B. der hessische DGB in einer Presseerklärung hingewiesen: Die, durch Studiengebühren erzeugte, Ausgrenzung von der Hochschule führt zu einer weiteren Verschärfung der Konkurrenz auf dem Ausbildungsmarkt.
Schon jetzt fehlen bundesweit rechnerisch 275.000 Ausbildungsplätze. Künftig wird sich der Anteil der Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen und denen ein elternunabhängiges Leben verwehrt wird weiter erhöhen. Durch 1-Euro-Zwangsarbeit und so genanntes Arbeitslosengeld II werden sie auf den für sie vorgesehenen Platz in der Klassengesellschaft verwiesen: ins Abseits.
Dequalifizierung für die Massen
Der Mangel an Ausbildungsplätzen ist dabei ganz im Interesse der Unternehmer. Durch die verschärfte Konkurrenz um freie Ausbildungsplätze können sie – nahezu ohne Gegenwehr – die Vergütung und die Qualität der Ausbildung weiter herunterschrauben: Ausbeutung ist angesagt, nicht Ausbildung.
Beispiele dafür sind die von der hessischen Industrie- und Handelskammer vorgestellten neuen „Servicejobs“ wie z.B. „Fachkraft für Umzugsservice“ oder die bereits an vielen Schulen eingeführten „kontinuierlichen Praxistage“. Die unbezahlten Praktika (einen Tag in der Woche und auf Kosten der Unterrichtszeit) und „praktisch orientierten“ Ausbildungsberufe zeichnen sich durch ein „Einsparen von Theorie“ aus. Es besteht gar nicht mehr der Anspruch Jugendlichen den Zugang zu einer qualifizierten betrieblichen Ausbildung zu öffnen. Aber ohne eine hochwertige Ausbildung sind später die Chancen auf dem Arbeitsmarkt für die BewerberInnen noch schlechter.
Jugend ohne Zukunft
Damit wird systematisch eine große Masse von Jugendlichen geschaffen, deren Berufskarrieren sich durch unsichere Beschäftigungsverhältnisse, durch unqualifizierte Tätigkeiten und niedrige Löhne auszeichnen.
Diese „disponible Masse“ von jungen, gering qualifizierten Arbeitskräften dient ganz den Verwertungsbedingungen des Kapitals. Sie ist die Kehrseite der Weiterentwicklung der Produktivkräfte bei gleichzeitiger Verlängerung der Arbeitszeit. Zwar wird auch künftig hoch qualifiziertes Fachpersonal benötigt werden – ihnen werden vielleicht noch Zugeständnisse bei Entlohnung und Arbeitsplatzsicherheit gemacht – doch tendenziell werden immer weniger Menschen für den Produktionsprozess nachgefragt. Diese „relative Überbevölkerung“ wird als „industrielle Reservearmee“ (Marx) je nach Bedarf und Auftragslage in den Produktionsprozess ein- und ausgegliedert.
Somit entsprechen Studiengebühren und Ausbildungsplatzmangel den Anforderungen der sich wandelnden Produktionskonzepte und Arbeitskräfterekrutierung im hoch entwickelten Kapitalismus: dem Bedarf an wenigen hoch und vielen gering qualifizierten Arbeitskräften zur Verschärfung der Ausbeutung und Maximierung des Profits. Dagegen hilft nur eins: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich.
Nur Solidarität macht stark
Für die Perspektive der Gegenwehr ist es wichtig diese Zusammenhänge zu verstehen. Unser aller Zukunft steht auf dem Spiel! Egal ob Studiengebühren, Verschlechterung der Lernbedingungen in der Schule oder Ausbildungsplatzmangel: Alle diese Erscheinungen sind keine „Sachzwänge“, sondern Ausdruck einer klassenbewussten Politik. Sie dienen den Interessen des Kapitals und stehen den Interessen der Jugend (und schließlich auch aller ArbeitnehmerInnen) diametral gegenüber.
In Frankreich fangen die Menschen bereits an dies zu verstehen. Und sie haben mit der Abwehr der Verschlechterung des Kündigungsschutzes für BerufsanfängerInnen gezeigt, dass Erfolge möglich sind – wenn wir jeden einzelnen Angriff als Angriff auf uns alle verstehen und gemeinsam bekämpfen.
So ist der Kampf gegen Studiengebühren eben auch ein Beitrag zur Milderung der Konkurrenz um Ausbildungsplätze. – Übrigens würden umgekehrt auch Studiengebühren einen Teil ihrer Funktionalität verlieren, wenn ein wirkliches Recht auf Ausbildung durchgesetzt würde.
© Thomas Lühr
in: Marxistische Blätter, 4-06, August 2006. Leicht zensiert auch in der Marburger AStA:Zeitung, Ausgabe Juli 2006.
Deutschland macht dumm, vor allem MigrantInnen und Jugendliche aus sozial schwächeren Familien. Das ist uns spätestens seit der PISA-Studie bekannt. Verschärfte Selektion ist das Merkmal der aktuellen Bildungspolitik und gleichzeitig Ausdruck ihres Klassencharakters.
Hohe Bildung für die Elite
Besonders deutlich wird dies bei der jetzt überall forcierten Einführung von Studiengebühren: Wer künftig vom Studium abgehalten werden soll, wird mehr als offensichtlich und erregt zu Recht Empörung und massiven Protest. Die deutsche Elite, die sich schon seit Generationen überwiegend aus sich selbst rekrutiert, – 80% aller Manager kommen aus „Elite-Familien“, die nur 3% der Gesellschaft ausmachen – will auch weiterhin unter sich bleiben. Der Pöbel soll gehen. Und wohin?
Darauf hat z.B. der hessische DGB in einer Presseerklärung hingewiesen: Die, durch Studiengebühren erzeugte, Ausgrenzung von der Hochschule führt zu einer weiteren Verschärfung der Konkurrenz auf dem Ausbildungsmarkt.
Schon jetzt fehlen bundesweit rechnerisch 275.000 Ausbildungsplätze. Künftig wird sich der Anteil der Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen und denen ein elternunabhängiges Leben verwehrt wird weiter erhöhen. Durch 1-Euro-Zwangsarbeit und so genanntes Arbeitslosengeld II werden sie auf den für sie vorgesehenen Platz in der Klassengesellschaft verwiesen: ins Abseits.
Dequalifizierung für die Massen
Der Mangel an Ausbildungsplätzen ist dabei ganz im Interesse der Unternehmer. Durch die verschärfte Konkurrenz um freie Ausbildungsplätze können sie – nahezu ohne Gegenwehr – die Vergütung und die Qualität der Ausbildung weiter herunterschrauben: Ausbeutung ist angesagt, nicht Ausbildung.
Beispiele dafür sind die von der hessischen Industrie- und Handelskammer vorgestellten neuen „Servicejobs“ wie z.B. „Fachkraft für Umzugsservice“ oder die bereits an vielen Schulen eingeführten „kontinuierlichen Praxistage“. Die unbezahlten Praktika (einen Tag in der Woche und auf Kosten der Unterrichtszeit) und „praktisch orientierten“ Ausbildungsberufe zeichnen sich durch ein „Einsparen von Theorie“ aus. Es besteht gar nicht mehr der Anspruch Jugendlichen den Zugang zu einer qualifizierten betrieblichen Ausbildung zu öffnen. Aber ohne eine hochwertige Ausbildung sind später die Chancen auf dem Arbeitsmarkt für die BewerberInnen noch schlechter.
Jugend ohne Zukunft
Damit wird systematisch eine große Masse von Jugendlichen geschaffen, deren Berufskarrieren sich durch unsichere Beschäftigungsverhältnisse, durch unqualifizierte Tätigkeiten und niedrige Löhne auszeichnen.
Diese „disponible Masse“ von jungen, gering qualifizierten Arbeitskräften dient ganz den Verwertungsbedingungen des Kapitals. Sie ist die Kehrseite der Weiterentwicklung der Produktivkräfte bei gleichzeitiger Verlängerung der Arbeitszeit. Zwar wird auch künftig hoch qualifiziertes Fachpersonal benötigt werden – ihnen werden vielleicht noch Zugeständnisse bei Entlohnung und Arbeitsplatzsicherheit gemacht – doch tendenziell werden immer weniger Menschen für den Produktionsprozess nachgefragt. Diese „relative Überbevölkerung“ wird als „industrielle Reservearmee“ (Marx) je nach Bedarf und Auftragslage in den Produktionsprozess ein- und ausgegliedert.
Somit entsprechen Studiengebühren und Ausbildungsplatzmangel den Anforderungen der sich wandelnden Produktionskonzepte und Arbeitskräfterekrutierung im hoch entwickelten Kapitalismus: dem Bedarf an wenigen hoch und vielen gering qualifizierten Arbeitskräften zur Verschärfung der Ausbeutung und Maximierung des Profits. Dagegen hilft nur eins: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich.
Nur Solidarität macht stark
Für die Perspektive der Gegenwehr ist es wichtig diese Zusammenhänge zu verstehen. Unser aller Zukunft steht auf dem Spiel! Egal ob Studiengebühren, Verschlechterung der Lernbedingungen in der Schule oder Ausbildungsplatzmangel: Alle diese Erscheinungen sind keine „Sachzwänge“, sondern Ausdruck einer klassenbewussten Politik. Sie dienen den Interessen des Kapitals und stehen den Interessen der Jugend (und schließlich auch aller ArbeitnehmerInnen) diametral gegenüber.
In Frankreich fangen die Menschen bereits an dies zu verstehen. Und sie haben mit der Abwehr der Verschlechterung des Kündigungsschutzes für BerufsanfängerInnen gezeigt, dass Erfolge möglich sind – wenn wir jeden einzelnen Angriff als Angriff auf uns alle verstehen und gemeinsam bekämpfen.
So ist der Kampf gegen Studiengebühren eben auch ein Beitrag zur Milderung der Konkurrenz um Ausbildungsplätze. – Übrigens würden umgekehrt auch Studiengebühren einen Teil ihrer Funktionalität verlieren, wenn ein wirkliches Recht auf Ausbildung durchgesetzt würde.
compay - 24. Aug, 08:42
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